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WENN DANN ALLES ANDERS WÄRE
Ich wäre eine Frau ohne Alter. Nie wirklich jung, nie furchtbar alt - so dazwischen quasi von Geburt an. Mein Gesicht würde immer ein wenig glänzen, meine Figur wäre weiblich und ich würde mich nicht schminken. Meine beizeiten ergrauten Haare färbte ich nicht und ließe sie offen in den Elementen flattern, denn Elemente spüren, das wär’ irgendwie meins.
Ich würde unglaublich gerne mit Material arbeiten. Ich liebte es, das Material zu spüren und mit ihm eins zu werden, würde ich allen erzählen, die in der Altstadt lebten. Leute wie ich. Echte Demokraten, in die Jahre gekommen und immer mild lächelnd und sagend: man muß doch positiv denken. Ich lebte in einer knuffigen Altbaubutze, so 16. Jahrhundert sag ich mal, und da wär ich dann so eins mit dem Material. Ich würde malen oder töpfern oder mit Holz oder Scheiß der Hund drauf und in einer Altstadtgalerie hätte ich immer mal wieder eine Ausstellung und dann kämen die Leute aus meinem Quartier und würden von der Ware kaufen und sagen: das ist so…lebendig. Ja und zugleich urban, würde ich sagen und meine Hände über meinem naturbelassenen Bauch falten.
Meine Gebärmutter und ich, wir wären schon zwei rechte Racker. Nachts würde ich ab und an um die Häuser ziehen und Rentner totschlagen. Unglaublich eins wäre ich auf jeden Fall mit der Natur. Von ihr hätte ich meine Inspirationen, das Murmeln eines Baches, das Lied der Föhre und den Duft eines frisch ausgeweideten Rehs, dessen Gedärme ich noch brühwarm in mich gestopft hätte, das wäre mir der Busen der Natur an dem ich säugte.

In der Gasse in der ich wohnte, würde ich laut über meine Wechseljahre oder Menstruation reden. Alice Schwarzer fände ich toll. Frauen fände ich überhaupt toll, weil sie so natürlich in der Materialgebung wären.
Manchmal, bei Vollmond, würde ich mit Engeln reden, und Tee würde ich trinken, literweise Tee und Müsli und solche Krätze würde ich verputzen. Ja, ich wäre Künstlerin durch und durch, am Nachmittag würde ich arbeiten, in meinem Atelier, ich würde mit dem Material arbeiten, und ich würde es nackt tun, damit sich meine weibliche Inspiration mit dem Material vereinigen würde.
Viele kleine Läden würden meine Kunst verkaufen, davon könnte ich mehr schlecht als recht leben, aber Geld bräuchte ich nicht soviel, weil wir ja irgendwie alles in uns haben.
Das Paradies tragen wir in uns und alle Möglichkeiten und man muß nur lernen, die inneren Quellen anzuzapfen. In meiner Freizeit ginge ich zu Lesungen, am liebsten Geschichten aus der alten Heimat und Gedichte, und zu Klavierkonzerten und irre gerne ginge ich auf Stadtteilfeste, wo man multikulturellen Austausch haben kann und ich würde immer sehr laut lachen und lebensfroh meinen Kopf in den Nacken werfen.
Ab und an würde ich ein paar Scheunen in Brand stecken, manchmal wären noch Tiere in den Scheunen. Ich würde mit der Sonne aufstehen und meine 7 Tibeter machen, dann auf den Wochenmarkt ein Schwätzchen halten, ein paar Runden lecker Saft kaufen, heim, vielleicht noch auf einen Sprung in die Frauenbadi und dann heim, mich mit Freundinnen treffen, arbeiten, in der Natur sein und unglaublich gerne würde ich kleine Tiere, Hunde und so etwas, in meiner Wohnung schächten. Ich würde mich mit ihrem Blut beschmieren und dazu Techno hören.
Dann würde ich in den Keller gehen, wo der Ladenbesitzer gefesselt an einem Eisenrohr vor sich hinkrepieren würde. Ich würde schauen, ob schon Maden in seinen offenen Wunden herumtollen, und wenn ja, dann würde ich davon essen...
...ab und zu würde ich Flugzeugabstürze herbeibewirken, oder Gasexplosionen , ich würde Bürgerkriege anzetteln und mit Flammenwerfern durch die verschissenen Gassen toben.
Schafen, lebendigen, würde ich Rollen an die Tatzen nageln und sie durch die Auen schieben, ich würde morgens mittags und abends Eigenurin trinken und irgendwann würde ich mich bei meinen autoerotischen Spielen selber strangulieren...
(Sibylle Berg, 2007)
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Was also ist die Zeit?
Wenn niemand mich danach fragt,
weiß ich's.
Will ich's aber einem Fragenden erklären,
weiß ich's nicht.
Vielleicht der 32. Februar.... |
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